Im Jahr 2021 feiert eine der größten Uhrenkomplikationen aller Zeiten ihren 220. Geburtstag: das Tourbillon. Der geniale Mechanismus von unvergleichlicher Komplexität stand im Mittelpunkt eines wahren menschlichen Abenteuers. Auch heute noch trägt das Tourbillon maßgeblich zur Bekanntheit seines Erfinders, Abraham-Louis Breguets, und dessen Maison bei.
Technische Erfindungen sind häufig eng mit einer Epoche verknüpft und überdauern diese nur selten. Wo eine Innovation die nächste jagt, werden sie unweigerlich von der Welle kontinuierlichen Fortschritts überrollt. Doch es gibt auch Ausnahmen….
Das vor 220 Jahren von Abraham-Louis Breguet (1747-1823) entworfene Tourbillon gilt als eine der größten Uhrenkomplikationen aller Zeiten und findet in der Haute Horlogerie auch heute noch viel Zuspruch.
Das gilt freilich insbesondere für seine Geburtsstätte, die Maison Breguet. Aber auch zahlreiche weitere Uhrenmarken bedienten sich dieser Erfindung, die Breguet erst 1801 patentieren ließ und das lediglich für einen Zeitraum von zehn Jahren! Des Weiteren inspirierte es im 19. Jahrhundert mehrere Erfinder; so entwarf beispielsweise Bahne Bonniksen ausgehend von den gleichen Überlegungen wie Breguet das Karussell.
Die Faszination für die Erfindung Breguets rührt von der Entstehung des Meisterwerks her: Tatsächlich ist das Tourbillon mehr als ein Kunstwerk der Mechanik – es ist das Ergebnis präziser physikalischer Beobachtungen, ein menschliches Abenteuer und ein industrielles Epos für sich.
Die Maison Breguet nimmt dieses besondere Jahr zum Anlass, um an die geniale Idee ihres Gründers und an die abenteuerliche Geschichte des Tourbillons im Rahmen verschiedener Veranstaltungen zu erinnern und am 26. Juni eine Neuheit zu feiern. An diesem Tag im Jahr 1801 – laut dem republikanischen Kalender im postrevolutionären Frankreich dem “7. Messidor des Jahres IX” – erhielt die Maison das Patent zugesprochen.
Der Erfinder: Abraham-Louis Breguet
Wir verdanken das Tourbillon dem brillanten Einfallsreichtum eines Mannes mit interessantem Werdegang: Abraham-Louis Breguet wird 1747 in Neuenburg in der Schweiz geboren, wo er eine Lehre als Uhrmacher beginnt, die er später im Alter von 15 Jahren in Versailles und Paris fortsetzt. In der französischen Hauptstadt, deren Strahlkraft sich damals kein Ort der Welt entziehen kann, erhält der junge Breguet insbesondere am Collège Mazarin eine theoretische Ausbildung, der er ein breites wissenschaftliches Grundwissen, insbesondere in Mathematik und Physik, verdankt – ein Ingenieur der ersten Stunde.
Als Breguet seine Idee vorstellte und zum Patent anmeldet, kann er bereits auf eine lange Karriere zurückblicken, denn er hatte sein Atelier im zentralen Pariser Viertel Île de la Cité schon 1775 eröffnet. Seine so genannten „perpétuelles“ mit Automatikaufzug begeistern zunächst König Ludwig XVI. und seine Gattin Marie-Antoinette und schließlich den gesamten Hof in Versailles. Zahlreiche technische Neuerungen und sein Gespür für minimalistisch-edles Design machen aus Breguet einen Erfinder von internationalem Renommee. Sein Name ist in den wichtigsten Hauptstädten der Welt in aller Munde, seine Ideen regen andere zur Nachahmung an.
Abraham-Louis Breguet und sein Streben nach Präzision
Als er 1793 gezwungen ist, sich in seinem Heimatland vor dem Chaos der Französischen Revolution in Sicherheit zu bringen, zieht Breguet für zwei Jahre nach Genf, Neuenburg und schließlich Le Locle. Der Aufenthalt in der Schweiz ist heilsam und geprägt von intellektueller Arbeit und einem intensiven Austausch mit Schweizer Uhrmachern aus Genf und dem Neuenburger Jura. Nach seiner Rückkehr nach Frankreich im Frühling 1795 verhelfen ihm seine zahlreichen Erfahrungen aus der Heimat zu einem erneuten Höhepunkt seiner Karriere.
In den fünf Jahren nach seiner Rückkehr nach Paris überrascht die Maison ihre seit jeher internationale und kosmopolitische Kundschaft mit so innovativen Produkten wie der Tastuhr (bei der man die Uhrzeit durch Fühlen ablesen kann), einer „sympathischen Pendule“ (darauf platzierte Taschenuhren werden aufgezogen und synchronisiert), einer Subskriptionsuhr (die sich durch ihren minimalistischen Stil auszeichnet), einer neuartigen Hemmung (die so genannte Hemmung mit konstanter Kraft) sowie dem « Tourbillon- Regulator».
Physikalische Gesetze herausfordern
Breguet, der nicht müde wird, zu beobachten und zu lernen, begreift, welche Faktoren – insbesondere jene, der Hemmung – die Genauigkeit eines Zeitmessers beeinflussen. Er ist wohl der einzige seines Fachs, der im Laufe seiner Karriere das Beste der drei großen Uhrmachernationen der damaligen Zeit – Schweiz, Frankreich und nicht zuletzt England, wohin er mehrmals reist und unter anderem John Arnold trifft – verinnerlicht und vereint. In dem Bewusstsein, dass er alleine nicht alle Rätsel der Ausdehnung von Metallen und der Stabilität von Ölen lösen kann, gelingt es ihm stattdessen, das Problem zunächst zu umgehen, um es anschließend zu lösen. Er sorgt für einen „Ausgleich“ der Beeinträchtigungen durch die physikalischen Gesetze, welche die zentralen Organe der Uhr verformen und damit die Ganggenauigkeit verschlechtern. Da er es nicht mit der Schwerkraft aufnehmen kann, entscheidet sich Breguet dafür, wenigstens ihre Folgen zu „zähmen“.
Die Bedeutung eines Wortes
Wer, außer Breguet, hätte sich dieses Konzept ausdenken können, das wissenschaftlich fundiert und zugleich ein wenig optimistisch war? Aus all diesen Faktoren entstand das Projekt, das der Erfinder in Anlehnung an dessen ursprüngliche Bedeutung in der Astronomie auf den Namen „Tourbillon“ tauft.
Heute ist in Vergessenheit geraten, was die großen Wörterbücher des 19. Jahrhunderts, die sowohl Descartes als auch die Encyclopédie zitieren, unter dem Eintrag « Tourbillon » aufführen: Hier war es ein Planetensystem, das sich um eine einzige Achse dreht, dort die Energie, die die Planeten um die Sonne kreisen lässt. Damit hatte der Begriff ursprünglich wenig mit der heutigen Bedeutung des Wortes im Französischen, die einer „heftigen Drehung“ oder einem „Wirbelwind“ entspricht, zu tun. Vielmehr ist das Wort, das Breguet zu seiner Zeit wählt, Ausdruck der Epoche der Aufklärung, in der man die Welt beobachtete, bevor man sie nachahmte. Der Begriff steht damit auch im Einklang mit der Meinung der Philosophen des 18. Jahrhunderts, die in der Uhrmacherkunst eine Miniaturabbildung des Kosmos sahen.
Und in der Tat: Wer sähe in diesem Mechanismus mit dem Regulierorgan der Spiralfeder und dem Verteilerorgan in Form des Hemmungsrads und Ankers, die sich in einem beweglichen Käfig mit der Regelmäßigkeit von Planeten drehen, nicht eine wohl geordnete Miniaturwelt?
Ein Schreiben an den Minister und das Dossier
Um seine Erfindung 1801 in einem Frankreich, das (schon damals) von einer schwerfälligen und mächtigen Bürokratie geprägt war, patentieren zu lassen, muss Breguet zunächst die Hürde der Antragsstellung nehmen. Hierfür war ein Dossier mit einer Aquarelltafel und einem Schreiben an den Innenminister zu erstellen. Hier sein Schreiben an den Minister:
Herr Minister,
Ich habe die Ehre, Ihnen eine Dissertation vorzustellen, in der eine neue Erfindung für den Gebrauch in Zeitmessgeräten beschrieben wird. Ich bezeichne dieses Gerät (oder Teil) Tourbillon-Regler (…)
Mittels dieser Erfindung ist es mir gelungen, die Anomalien, welche durch die verschiedenen Positionen der Schwerpunkte des Uhrwerks ausgelöst werden, auszugleichen. Es ist mir außerdem gelungen die Reibung gleichmäßig auf die Umlauffläche der Zapfen des Gangreglers und der Lager, in denen sich diese drehen, zu verteilen. Dies wird sichergestellt, indem die Schmierung der Reibungsflächen trotz der Koagulation der Öle gleichbleibt. Schließlich habe ich zahlreiche weitere Fehlerquellen beseitigt, die sich auf die Genauigkeit des Uhrwerks auswirken (…)
In Anbetracht all dieser Vorteile, der fortschrittlichen Produktionsmittel, die mir zur Verfügung stehen, und der beträchtlichen Ausgaben, die ich für die Erstehung derselben tätigen musste, habe ich mich entschlossen, das Recht auf Feststellung des Datums meiner Erfindung in Anspruch zu nehmen und somit eine Entschädigung meiner Opfer zu sichern.
Hochachtungsvoll
BREGUET
Ein langer Weg
Ausgehend von der Annahme, dass die Idee zum Tourbillon während Breguets Aufenthalt in der Schweiz, also zwischen 1793 und 1795, heranreift, vergehen nach seiner Rückkehr nach Paris noch sechs Jahre, bevor er am 26. Juni 1801 das Patent erhält. Weitere sechs Jahre sollte es dauern, bis der Verkauf der ersten Exemplare des Tourbillon schleppend anläuft. Daraus lässt sich schließen, dass Breguet die Schwierigkeiten der Herstellung dieses neuen Gangreglers unterschätzt hat, was einmal mehr auf seinen stets unermüdlichen Optimismus zurückzuführen ist. Die « beträchtlichen Ausgaben » und die « Opfer », von denen er in seinem Brief an den Innenminister schreibt, liegen 1801 also noch nicht hinter ihm.
Es vergehen über zehn Jahre, bis Abraham-Louis Breguet seine extrem komplexe Erfindung entwickelt hat und mit verlässlicher Qualität herstellen kann. Der Uhrmachermeister wird es nicht müde, über seine Erfindung zu sprechen. So nutzt er die Ausstellung französischer Industrieprodukte, die 1802, 1806 und 1819 in Paris stattfindet, um seinen Mechanismus vorzustellen, mit dessen Hilfe Zeitmesser „unabhängig von der Position der Uhr, die vertikal oder auch geneigt sein kann, ihre Genauigkeit beibehalten.“
Von der Relevanz der Erfindung, die auf mehrere Typen von Zeitmessern angewendet werden kann, überzeugt, stellen Breguet und seine Mitarbeiter zwischen 1796 und 1829 vierzig Tourbillons her. Hinzu kommen weitere neun Exemplare, die nie fertig gestellt und in den Büchern als abgeschrieben, Ausschuss oder verlegt erfasst werden.
Berühmte Kunden und Nutzung des Tourbillon
Anhand einer umfassenden Analyse der Aufzeichnungen aus den Archiven ist es möglich, eine exakte Liste jedes einzelnen Exemplars mit zahlreichen Details zu ihrer Geschichte zu erstellen. Es gibt 35 Uhren, von denen mehr als die Hälfte mit einem Käfig ausgestattet sind, der sich in vier oder sechs Minuten um sich selbst dreht, wohingegen im Patent von einer Umdrehung in einer Minute die Rede ist. Darüber hinaus fallen fünf weitere Unikate ins Auge: eine „sympathische Pendule“ und eine Kombination aus Pendule und Uhr, ein großformatiges Demonstrationsobjekt, ein Marinechronometer und eine Reisependule.
Es ist nicht überraschend, dass sich unter der Liste der Käufer auch einige Könige wie Georg III. und Georg IV. von England oder Ferdinand VII. von Spanien, russische Aristokraten wie die Fürsten Jermolow, Gagarin, Repnin und Demidow sowie bekannte europäische Persönlichkeiten aus Polen (Graf Potocki), Preußen (Fürst Hardenberg), Italien (Graf Archinto, Giovanni Battista Sommariva), Ungarn (Baron Podmaniczky) oder Portugal (Francisco José Maria de Brito) befinden.
Weniger bekannt ist bislang, dass ein Viertel der vierzig Tourbillons mit Sicherheit auf hoher See genutzt wurden.
Amateur- oder Profiseefahrer hatten sie für die Navigation im Meer und die Berechnung der Längengrade gekauft und genutzt. Gleiches tat ein Forscher aus Afrika. Auch Thomas Brisbane kam mit seinem Tourbillon in Australien an. Einige Exemplare waren rund fünfzig Jahre auf den Ozeanen der Erde im Einsatz. Außerdem dürfen mehrere hochrangige Wissenschaftler ein Exemplar ihr eigen nennen.
Ganz offensichtlich erwies sich die von Breguet selbst aufgestellte Klassifizierung als richtig, die das Tourbillon der Horlogerie für wissenschaftliche Zwecke und nicht der Horlogerie für zivile Zwecke zurechnete. Genau das hatten die Käufer verstanden, denn sie freuten sich über die, durch das Tourbillon erzielte, höhere Genauigkeit.
Ein komplexer Erfolg
Mit ihrem Gehäuse aus Gold oder Silber sind die Tourbillons Meisterwerke, deren Design der Technik in nichts nachsteht. Wenngleich sie für ihren wissenschaftlichen Nutzen geschätzt werden, müssen sie sich doch auch durch ein raffiniertes Äußeres auszeichnen. Die Zifferblätter der Tourbillons zählen zu den schönsten der Geschichte der Maison. Neben der perfekten Lesbarkeit – das Markenzeichen von Breguet – überzeugen verschiedene Funktionen auf den Zifferblättern aus Gold, Silber oder Email: laufende Sekunde, Sekunde auf Knopfdruck, Gangreserve, manchmal sogar ein Thermometer… jedes Stück ist ein Unikat. Der Tourbillon-Mechanismus kann in Verbindung mit unterschiedlichen Uhrentypen und Hemmungsarten eingesetzt werden.
Aber die Herstellung geht nur schleppend voran. Nach Erteilung des Patents startet 1802 die Produktion von sechs Zeitmessern mit Tourbillon. Die Fertigung jedes einzelnen wird fünf bis zehn Jahre dauern. Im Jahr 1809 nutzt Breguet die gute Geschäftslage und setzt mit der Eröffnung einer Zweigstelle in Sankt Petersburg große Hoffnungen in den russischen Markt. Er beginnt, 15 neue Tourbillons zu fertigen, von denen die Hälfte erst nach 1814 fertiggestellt werden kann. Sowohl der Marinechronometer mit Tourbillon als auch die „Pendule portative“ sind Unikate; in der Reiseuhr wurde das letzte Tourbillon der Original-Serie verbaut. Die Herstellung ist schwierig, die Entwicklung langwierig und qualifizierte Kräfte für die Fertigung sind Mangelware.
Zwar sind Breguets treue Stammkunden mit dem Tourbillon höchst zufrieden, doch dessen Erfinder wird in finanzieller Hinsicht nicht für seine Mühen entlohnt. Der Grund hierfür liegt jedoch darin, dass Breguet sein ganzes Leben lang versucht, seine Zeitmesser noch präziser zu machen und dass er einfachere Umsetzungsmöglichkeiten findet.
So kommt es, dass die geniale Erfindung aus der Epoche der Aufklärung, der Shooting Star Tourbillon, am Uhrenhimmel verblasst, ohne wirklich zu verschwinden. Denn das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.
Eine faszinierende und inspirierende Geschichte
Als wertvolles Zeugnis der produktiven Schaffenskraft des Erfinders lassen die allerersten Tourbillons seit jeher Sammlerherzen höher schlagen und faszinieren Historiker wie große Persönlichkeiten der Haute Horlogerie: von Georg IV. von England bis zu Sir David Salomons, von George Daniels bis zu Nicolas G. Hayek. Etwa ein Dutzend Exemplare befinden sich in Museen: Drei zählen zu den Sammlungen des Breguet-Museums, fünf werden im British Museum sowie weiteren Museen in England aufbewahrt, hinzu kommen Exemplare in Italien, Jerusalem und New York. Etwa fünfzehn Stück befinden sich in privatem Besitz. Erst kürzlich erzielten zwei Modelle bei Versteigerungen Höchstpreise. Insgesamt haben bis heute dreißig von vierzig Exemplaren überlebt, was viel über die große Faszination aussagt.
Das Tourbillon und sein fulminantes Comeback
Die Maison Breguet fühlte sich nicht nur den, vom Gründer des Hauses hergestellten Exemplaren besonders verbunden, sondern fertigte auch neue Taschenuhren mit Tourbillon, die sie in den Jahren 1920 bis 1950 verkaufte. Nur wenige Eingeweihte waren darüber informiert.
Das Revival folgte ebenso unerwartet wie fulminant. Ursprünglich für Taschenuhren entworfen, die im Allgemeinen in senkrechter Position getragen wurden, erfuhr die Erfindung von Abraham-Louis Breguet Mitte der 1980er Jahre in den kleineren Gehäusen von Armbanduhren, die weniger empfindlich auf die Erdanziehungskraft reagierten, ein Comeback. Wie paradox!
Seitdem scheint Erfolgsgeschichte unaufhaltbar und das Tourbillon erobert jedes Jahr neues Terrain. Zwar ist der Präzisionsgewinn heute nicht mehr der größte Vorteil, doch Liebhaber wissen es als Erfindung aus der Epoche der Aufklärung und als wichtiges Kapitel der Menschheitsgeschichte zu schätzen. Und schließlich besticht die beruhigende Regelmäßigkeit dieses (in jeder Hinsicht) revolutionären Prozesses, der auch 220 Jahre nach seiner Erfindung den aufgeklärten Geist anspricht.
(Bildnachweis: Breguet, Archiv NeueUhren.de)